1. Einleitung
Inmitten wachsender geopolitischer Spannungen zwischen China und dem Westen, insbesondere den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, verschieben sich die Konfliktlinien zunehmend von rein wirtschaftlichen zu kulturell-symbolischen Fronten. Während Zölle, Exportbeschränkungen und Investitionsregulierungen weiterhin als sichtbare Mittel im ökonomischen Rüstzeug des Handelskriegs eingesetzt werden, entfaltet sich parallel dazu ein feineres, psychologisch aufgeladeneres Spielfeld: der Angriff auf die symbolische und emotionale Infrastruktur westlicher Marken – insbesondere im Luxussegment.
Was ursprünglich als tarifärer Protektionismus begann, entwickelt sich zunehmend zu einer kognitiven und affektiven Delegitimierungsstrategie. Im Zentrum dieser neuen Angriffslogik steht nicht mehr die bloße Handelsbilanz, sondern das Narrativ der westlichen Überheblichkeit: Luxusmarken aus Europa und Nordamerika werden von chinesischen Akteuren nicht mehr nur als wirtschaftliche Gegner behandelt, sondern als Träger eines kulturellen Systems, das auf Täuschung, Ausbeutung und künstlich erzeugtem Status basieren soll. Der westliche Luxus wird zur Projektionsfläche geopolitischer Ressentiments und zur Zielscheibe staatlich orchestrierter Demystifizierungsversuche.
Zentrale Figur dieser Strategie ist die Entzauberung des Luxus: Durch gezielte Berichte in staatlichen Medien, durch investigative Preisvergleiche und durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen wird versucht offenzulegen, dass viele westliche Luxusgüter – von Handtaschen über Sneaker bis zu Uhren – in China oder Südostasien unter kostengünstigen Bedingungen gefertigt werden, um anschließend mit massiven Margen im Westen verkauft zu werden. Der Luxus erscheint in dieser Perspektive nicht als Ausdruck von Handwerkskunst, Tradition und kultureller Distinktion, sondern als Resultat einer kalkulierten Illusion. Ziel ist es, den symbolischen Mehrwert westlicher Marken durch ökonomische Transparenz und moralische Entrüstung zu neutralisieren.
Psychologisch betrachtet beruht diese Strategie auf klassischen Annahmen: Wenn Konsumenten erkennen, dass der materielle Produktionswert eines Gutes in keinem Verhältnis zum Verkaufspreis steht, sollen sie ihr Konsumverhalten hinterfragen und korrigieren. Es ist eine Rationalisierungslogik, die davon ausgeht, dass Enttäuschung über Kostenstrukturen zur Erosion von Markenbindung führt. Unterstützt wird diese Logik durch moralische Argumentation (Stichwort: „westlicher Ausbeuterkapitalismus“) und durch patriotische Appelle, chinesische Alternativen zu bevorzugen.
Doch diese Strategie übersieht die tiefgreifenden Verschiebungen in den psychologischen Motivationen von Konsum, die insbesondere seit der Corona-Pandemie zu beobachten sind. Die Erfahrung kollektiver Verunsicherung, sozialer Isolation und emotionaler Erschöpfung hat bei vielen Konsument:innen zu einer fundamentalen Neuverhandlung des Ichs geführt. In dieser post-pandemischen Realität ist Konsum – und insbesondere Luxus – nicht mehr primär Ausdruck ökonomischer Rationalität, sondern zunehmend ein emotionaler Regulationsmechanismus, ein psychologischer Schutzraum und ein Symbol für Kontinuität, Individualität und Selbstvergewisserung.
Luxusprodukte werden in diesem Kontext nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Immaterialität geschätzt: nicht wegen der Produktionskosten, sondern wegen der Geschichten, die sie erzählen; der Zugehörigkeit, die sie versprechen; der Distinktion, die sie ermöglichen. Der Versuch, diesen Bedeutungsüberschuss durch Transparenz und Moralisierung zu entwerten, läuft daher ins Leere – oder erzeugt sogar den gegenteiligen Effekt: Eine psychologische Reaktanz, die die emotionale Aufladung und symbolische Aura echter Luxusmarken noch verstärkt.
Diese Studie nimmt die chinesische Entzauberungsstrategie zum Anlass, um das psychologische Zusammenspiel von politischer Intervention, symbolischem Konsum und post-pandemischer Begehrensstruktur systematisch zu analysieren. Sie zeigt, warum das entlarvende Moment der Kostentransparenz in einer Welt, die zunehmend von Sinnsuche und psychologischer Fragmentierung geprägt ist, nicht zur Entwertung, sondern zur Re-Mythisierung von Luxus führen kann. Und sie erläutert, warum gerade die Marken, die ihren symbolischen Mehrwert nicht leugnen, sondern kultivieren, als Gewinner aus dieser kulturellen Auseinandersetzung hervorgehen.
„Die Wahrheit über den Preis zerstört nicht das Begehren – sie verlagert es nur in tiefere Schichten des Selbst.“
Jean Baudrillard, „Das System der Dinge“ (1970)
Vor dem Hintergrund einer sich zunehmend zuspitzenden politischen Kommunikationsstrategie Chinas gegenüber westlichen Luxusmarken widmet sich diese Studie vier zentralen Forschungsfragen, die das Zusammenspiel zwischen politischer Beeinflussung, psychologischer Reaktion und markenspezifischer Bedeutungsproduktion im post-pandemischen Kontext untersuchen:
Die psychologische Analyse der chinesischen Entzauberungsstrategie westlicher Luxusmarken erfordert eine differenzierte Betrachtung der zugrunde liegenden Kommunikationsmuster, Motivationsmodelle und normativen Subtexte. Im Fokus steht dabei nicht nur die ökonomische Rhetorik der „Tariff Wars“, sondern vor allem das psychologische Drehbuch, das in der Delegitimierung westlicher Luxusmarken zur Anwendung kommt. Dieser Abschnitt analysiert die drei zentralen Instrumente der chinesischen Kampagnenstrategie im Kontext der aktuellen Handelskonflikte.
Chinas staatlich kommunizierte Zollerhöhungen auf Luxusprodukte aus Europa und Nordamerika werden nicht nur ökonomisch begründet, sondern rhetorisch mit moralischen Argumenten aufgeladen. Die offizielle Narration lautet sinngemäß: „Warum soll China eure überteuerten westlichen Marken weiter durch Import erlauben, wenn sie weder kulturellen noch funktionalen Mehrwert bieten?“
Hier wird versucht, den wirtschaftlichen Akt der Zollsetzung mit einer kulturellen Kritik zu verknüpfen – westlicher Luxus erscheint als Ausdruck von Elitismus, Ausbeutung und postkolonialer Arroganz. Ziel ist es, nicht nur den Konsum zu reduzieren, sondern auch die gesellschaftliche Legitimation dieses Konsums zu delegitimieren.
Zentraler psychologischer Hebel der Kampagne ist die Offenlegung von Produktionskosten: „Dieses Produkt kostet in der Herstellung 80 €, ihr zahlt 4.800 € – das ist Täuschung!“
Diese Strategie folgt einem rationalistischen Menschenbild, das davon ausgeht, dass Konsument:innen ihr Begehren reduzieren, wenn sie erkennen, dass der Preis eines Produkts in keinem Verhältnis zu seinen materiellen Kosten steht. Die dahinterliegende Prämisse ist eine kognitive Dissonanztheorie in vereinfachter Form: Die Enthüllung der Preis-Kosten-Diskrepanz soll zu einem emotionalen Bruch mit der Marke führen.
Diese Logik ignoriert jedoch, dass der symbolische Wert von Luxusprodukten – insbesondere nach der Pandemie – gerade nicht auf materieller Substanz, sondern auf immaterieller Bedeutung basiert.
Ergänzt wird die Strategie durch ein gezieltes „Patriotismus-Nudging“: Der Konsum chinesischer Luxusgüter wird als Beitrag zur nationalen Souveränität gerahmt. Marken wie Li-Ning, Bosideng oder Neiwai werden aktiv als moderne, authentische und gleichwertige Alternativen zu westlichen Luxusmarken inszeniert.
Das Ziel ist eine emotionale Umlenkung: Konsument:innen sollen ihre soziale Distinktion nicht mehr über westliche Produkte, sondern über kulturell legitimierte nationale Marken erreichen. Diese Strategie baut auf kollektivistischen Identitätsmodellen auf, in denen das Wohl des Landes über den individuellen Ausdruck gestellt wird.
Diese drei Strategien – moralischer Importwiderstand, ökonomische Entzauberung und patriotische Umlenkung – bilden die kommunikative Trias der chinesischen Anti-Luxus-Kampagne. Doch wie die folgenden Kapitel zeigen werden, kollidieren sie zunehmend mit den psychologischen Realitäten einer post-pandemischen Konsumgesellschaft, in der Individualisierung, symbolisches Begehren und die Suche nach innerer Stabilisierung zentrale Motive darstellen.
Die strategische Kommunikation Chinas gegenüber westlichen Luxusmarken beruht nicht nur auf wirtschaftspolitischen Zielen, sondern auf einem spezifischen psychologischen Menschenbild. Die Grundannahme: Konsument:innen handeln rational, sind empfänglich für moralische Appelle und lassen sich durch aufgedeckte Widersprüche in Preisstruktur und Herkunft von ihren Konsumentscheidungen abbringen. Diese Sichtweise ist tief verwurzelt in verhaltensökonomischen und kollektivistischen Modellen der Konsumpsychologie – sie verkennt jedoch zentrale Entwicklungen der post-pandemischen Begehrensstruktur.
Die folgende Aufschlüsselung zeigt die drei Kernannahmen hinter der chinesischen Kampagnenlogik:
Die erste implizite Annahme lautet: Wenn Konsument:innen erfahren, dass ein Luxusgut zu einem Bruchteil des Verkaufspreises produziert wird, schwindet das emotionale Begehren.
Diese Logik beruht auf der Vorstellung, dass Preis-Leistungs-Diskrepanzen zu kognitiver Dissonanz führen, die wiederum affektive Entwertung auslöst. Die Erkenntnis „Ich wurde getäuscht“ soll zu einer Reduktion der Bindung und einem Rückzug aus der Konsumbeziehung führen. Diese Annahme ignoriert jedoch, dass Luxus längst nicht mehr über den materiellen Wert legitimiert wird, sondern über symbolische, emotionale und soziale Zuschreibungen – und dass Konsument:innen durchaus bereit sind, absurde Preisverhältnisse zu akzeptieren, wenn der Kauf ihnen Zugehörigkeit, Identität oder Selbstbestätigung verspricht.
Die zweite Annahme: Nationale Zugehörigkeit kann das Bedürfnis nach Distinktion, Prestige und kultureller Kodierung im Luxussegment vollständig kompensieren.
Durch gezielte Förderung chinesischer Marken soll das Begehren auf national integrierbare Statusobjekte umgelenkt werden. Hier zeigt sich ein kollektivistisches Denkmodell, in dem das Ich in den Dienst des Wir gestellt wird und nationale Symbolik zur Ersatzbefriedigung für individualisierte Statusmarker wird. Doch gerade post-pandemisch ist ein gegenläufiger Trend zu beobachten: In Phasen existenzieller Verunsicherung wächst der Wunsch nach persönlicher Bedeutung, Unverwechselbarkeit und psychologischer Selbstverortung – Bedürfnisse, die sich nicht kollektiv homogenisieren lassen.
Die dritte Grundannahme lautet: Markenwert ist dekonstruktiv zugänglich – durch Logik, Transparenz und Argumentation kann er erschüttert werden.
Dieses Modell folgt einem aufgeklärten, aber reduktionistischen Verständnis von Konsum: Wer erkennt, dass eine Marke auf „Schein“ basiert, wird sich abwenden. In der Realität funktioniert Begehren jedoch psychodynamisch, nicht rational. Es entzieht sich der vollständigen Kontrolle durch Aufklärung, da es tief in emotionale, symbolische und oft unbewusste Strukturen eingebettet ist. Gerade im Luxusbereich wird der Versuch, das Begehren durch Argumente zu zerstören, oft selbst zur Bühne einer paradoxen Aufwertung – denn was bekämpft wird, gewinnt an Bedeutung.
Diese drei psychologischen Grundannahmen bilden das Fundament der chinesischen Entzauberungsstrategie – und zugleich ihre Achillesferse. Denn sie setzen auf ein Konsumentenbild, das mit den heutigen Realitäten der emotionalisierten, identitätsgetriebenen und post-pandemisch verunsicherten Gesellschaft kaum noch vereinbar ist. Luxus lässt sich nicht mehr entmystifizieren – weil er nicht mehr in der Sphäre des Rationalen verankert ist.
Die psychologischen Grundannahmen der chinesischen Entzauberungsstrategie stehen in einem grundlegenden Widerspruch zur aktuellen mentalen Verfassung der Konsument:innen – insbesondere im Hochpreissegment. Die Corona-Pandemie hat nicht nur wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen destabilisiert, sondern tiefe Spuren in der psychischen Architektur des modernen Subjekts hinterlassen. Die daraus resultierende post-pandemische Gegenrealität ist von Ich-Fragmentierung, Identitätssuche, psychischer Erschöpfung und einem gesteigerten Bedürfnis nach symbolischer Selbstvergewisserung geprägt. Luxus erfüllt in diesem Kontext nicht mehr primär funktionale oder soziale Funktionen, sondern wird zunehmend zu einem emotionalen Anker in einer entgrenzten Welt.
In der post-pandemischen Lebenswelt verlieren klassische Stabilitätsanker an Bedeutung: Arbeit, soziale Routinen, physische Räume und zwischenmenschliche Beziehungen wurden tiefgreifend erschüttert. Viele Menschen erleben sich seither als innerlich zersplittert, verunsichert und emotional entkoppelt. In dieser Fragmentierung des Ichs gewinnt Luxus eine neue, therapeutische Bedeutung: als materiell gewordene Selbstvergewisserung, als Ausdruck von Kontrolle, Kontinuität und symbolischer Ordnung. Eine Louis-Vuitton-Tasche, ein Hermès-Tuch oder eine Chanel-Jacke fungieren nicht mehr bloß als Statussymbole – sie werden zu Objekten des Selbstschutzes, zu projektiven Identitätscontainern in einer Welt, die ihre Konturen verloren hat.
Die strategische Entwertung durch Preisoffenlegung oder moralische Appelle zielt auf Reue, erzeugt jedoch zunehmend Reaktanz. In einer Zeit, in der individuelle Autonomie als hohes Gut und Luxus als Rückzugsraum gegen kollektive Zumutungen erlebt wird, wirken Versuche der Entmystifizierung eher wie Eingriffe in die psychologische Souveränität.
Das Ergebnis: Je stärker ein Staat oder eine ideologisch aufgeladene Instanz versucht, Begehren durch „Aufklärung“ zu zerstören, desto mehr wird dieses Begehren zur Form des inneren Widerstands. Reaktanz – verstanden als psychologischer Schutzmechanismus gegen wahrgenommene Freiheitseinschränkung – führt nicht zur Abkehr von der Marke, sondern zur noch stärkeren Aufladung mit Bedeutung. Luxus wird zum Symbol des Ichs gegen ein übergriffiges Außen.
Die chinesische Strategie geht von einem ökonomischen Reduktionismus aus: Luxus = Produkt = Preis. Doch die post-pandemische Konsumkultur folgt einer symbolischen Bedeutungsökonomie, in der Produkte nicht nach ihrem materiellen Wert, sondern nach ihrer Narrativität, Zugehörigkeit und Innerlichkeit bewertet werden. Luxusmarken sind nicht deshalb attraktiv, weil sie teuer sind – sondern weil sie eine Geschichte erzählen, ein Lebensgefühl evozieren, ein Zugehörigkeitsversprechen formulieren.
In einer Welt, die zunehmend nach Sinn und Zugehörigkeit verlangt, werden Marken zu modernen Mythen. Und Mythen lassen sich nicht durch Produktionskosten zerstören.
Ein weiterer Bruchpunkt der chinesischen Strategie liegt in der Perzeption der Quelle der Entzauberung. In einer globalisierten Medienlandschaft mit multiplen Wahrheitsräumen und wachsender Skepsis gegenüber staatlicher Kommunikation werden nicht nur Marken, sondern auch Narrative bewertet.
Die zunehmende Glaubwürdigkeitslücke zwischen Marken und Politik führt dazu, dass viele Konsument:innen die Entzauberungskampagnen nicht als Aufklärung, sondern als Manipulation empfinden. Das Misstrauen richtet sich nicht gegen die Marken – sondern gegen die politischen Motive hinter der Delegitimierung. Luxusmarken wie Hermès oder Dior profitieren dabei von einem langen Authentizitätsvorschuss, der es ihnen erlaubt, Angriffe nicht als moralische Kritik, sondern als Bestätigung ihrer Aura zu interpretieren: Wenn man uns bekämpft, muss an uns etwas Besonderes sein.
Die post-pandemische Gegenrealität zeichnet somit ein Konsumentenbild, das tief individualisiert, symbolorientiert und psychologisch aufgeladen ist. In dieser Welt sind Versuche, Luxus zu entzaubern, nicht nur wirkungslos – sie sind kontraproduktiv. Sie stärken das Begehren, vertiefen die emotionale Bindung und verlagern Luxus von der Sphäre des Materiellen in die Dimension des Psychischen.
Die nachfolgenden Hypothesen bilden das theoretisch fundierte Rückgrat der empirischen Untersuchung. Sie zielen darauf ab, die zentrale These der Studie – nämlich das Scheitern der chinesischen Entzauberungsstrategie im Kontext post-pandemischer Konsumpsychologie – differenziert und überprüfbar zu operationalisieren. Dabei wird besonderes Augenmerk auf affektive, kognitive und sozial-symbolische Dynamiken gelegt, die das Verhältnis von Konsument:innen zu Luxusmarken prägen.
H1: Die Entzauberungsstrategie (Kostenoffenlegung) reduziert die Attraktivität westlicher Luxusmarken nicht signifikant.
Diese Hypothese stellt die Grundannahme der chinesischen Kampagne – dass die Offenlegung von Produktionskosten den Markenwert unterminiert – infrage. Während aus ökonomisch-rationaler Perspektive die Preis-Kosten-Diskrepanz als Täuschung empfunden werden könnte, zeigt die psychologische Realität des Luxusmarkenkonsums eine andere Struktur:
Luxusmarken konstituieren sich primär über symbolische Aufladung, emotionale Projektionsflächen und narrative Tiefenstruktur, nicht über materielle Verhältnismäßigkeit. Konsument:innen akzeptieren – bewusst oder unbewusst – die Überpreisung, solange sie ein spezifisches Gefühl, eine Zugehörigkeit oder eine Bedeutung „kaufen“. Die Rationalisierung scheitert hier an der emotionalen Immersion.
→ Erwartung: In experimentellen Settings beeinflusst Kostenoffenlegung weder Markenwert noch Kaufintention signifikant negativ.
H2: Konsument:innen mit post-pandemisch erhöhtem Bedürfnis nach Symbolstabilisierung reagieren positiv auf ursprüngliche Luxusnarrative.
Die zweite Hypothese beruht auf der Annahme, dass sich nach der Pandemie ein erhöhtes Bedürfnis nach psychologischer Kohärenz, Identitätsverankerung und innerer Ordnung herausgebildet hat. Luxusmarken – insbesondere solche mit narrativer Tiefe, historischer Kontinuität und stilistischer Konsistenz – bieten einen emotionalen Halt in einer fragmentierten Wirklichkeit.
Das post-pandemische Begehren richtet sich nicht mehr vorrangig auf Statusabgrenzung, sondern auf symbolische Selbstvergewisserung. Entsprechend sind jene Marken besonders attraktiv, die diese symbolischen Stabilitätsangebote aufrecht erhalten – nicht jene, die sich an wechselnde politische Stimmungen anpassen.
→ Erwartung: In der Befragung zeigen Personen mit hohem „Need for Symbolic Stability“ (zu operationalisieren über geeignete Skalen) eine signifikant höhere Affinität zu traditionellen Luxusnarrativen.
H3: Je stärker staatlich kontrollierte Kommunikation gegen westliche Luxusmarken eingesetzt wird, desto ausgeprägter wird das Bedürfnis nach individueller Selbstaufwertung durch diese Marken.
Diese Hypothese thematisiert das Phänomen der Reaktanz, also der psychologischen Gegenbewegung bei wahrgenommener Freiheitseinschränkung oder externem Druck. In autoritär strukturierten Kommunikationsräumen wie dem chinesischen Markt kann eine übermäßig moralisierende oder bevormundende Kampagnenrhetorik paradoxe Effekte erzeugen:
Statt sich von westlichen Marken abzuwenden, wenden sich insbesondere junge, urbanisierte und individualistisch geprägte Konsument:innen diesen Marken gerade deshalb zu, weil sie als Ausdruck von Freiheit, Selbstentfaltung und oppositioneller Ästhetik erscheinen. Luxus wird zum Symbol des inneren Widerstands gegen kollektive Vereinnahmung.
→ Erwartung: Höhere Wahrnehmung von staatlicher Kontrolle und moralischem Druck korreliert signifikant mit individueller Aufwertung der angegriffenen Marken.
H4: Der Versuch, Prestige durch rationale Argumente zu entwerten, scheitert an der emotionalen und sozialen Funktion von Luxus.
Diese Hypothese fokussiert die psychodynamische Resistenz von Luxusmarken gegenüber entlarvender Rationalisierung. Der Luxusmarkenkonsum erfüllt multiple psychologische Funktionen:
H5: Der psychologische Vertrauensverlust trifft nicht die Marke, sondern das Narrativ der Entlarvung selbst.
Diese Hypothese thematisiert den Source Credibility Bias: In einem medial pluralisierten Raum wird nicht nur die Botschaft bewertet, sondern auch deren Quelle. Gerade in autoritär geframten Kontexten erleben viele Konsument:innen staatlich orchestrierte Kampagnen nicht als glaubwürdige Informationsquelle, sondern als strategisch instrumentalisierte Manipulationsversuche.
Die Folge ist eine Verschiebung des Misstrauens: Nicht die Luxusmarke erscheint verdächtig – sondern die politische Absicht hinter der Entzauberung. Die Strategie schlägt auf den Kommunikator zurück, nicht auf das Objekt der Kritik.
→ Erwartung: Die wahrgenommene politische Motivation der Kampagne (z. B. „propagandistisch“ vs. „neutral“) korreliert negativ mit dem Glauben an ihre inhaltliche Validität – und positiv mit dem Wunsch, der kritisierten Marke Loyalität zu beweisen.
Diese Hypothesen bilden die Basis für die anschließende empirische Prüfung im Rahmen eines Mixed-Methods-Designs. Sie ermöglichen die differenzierte Erfassung jener psychologischen Prozesse, die erklären, warum politische Delegitimierungsversuche nicht nur scheitern – sondern unter bestimmten Bedingungen sogar zur paradoxen Stärkung des Begehrens führen.
Zur empirischen Prüfung der aufgestellten Hypothesen wurde ein methodentrianguliertes Studiendesign gewählt, das qualitative Tiefeninterviews mit einer breiter angelegten quantitativen Befragung kombiniert. Dieses Design erlaubt eine multiperspektivische Analyse der Wirkung chinesischer Entzauberungsstrategien auf die Wahrnehmung westlicher Luxusmarken durch europäische Konsumentinnen. Während der qualitative Strang dazu dient, psychodynamische Reaktionsmuster, affektive Bedeutungszuschreibungen und latente Motivationen auf tiefenstruktureller Ebene zu erfassen, ermöglicht der quantitative Strang eine statistisch belastbare Generalisierung und Modellierung zentraler Wirkungszusammenhänge.
Die Studie wurde in drei europäischen Kernmärkten für Luxusmarken durchgeführt – Deutschland, Frankreich und Italien – Länder, die nicht nur eine historisch gewachsene Luxusmarkenkultur aufweisen, sondern auch starke kulturelle Narrative der Individualität, Ästhetik und sozialen Distinktion verkörpern. Die Auswahl dieser Kontexte war essenziell, um das Spannungsfeld zwischen politisch motivierter Delegitimierung und individueller Begehrensstruktur innerhalb eines westlich geprägten Konsum- und Identitätsraums untersuchen zu können.
Im qualitativen Teil wurden 29 ausführliche, tiefenpsychologisch angelegte Einzelinterviews mit europäischen Konsumentinnen im Alter zwischen 24 und 55 Jahren durchgeführt. Die Teilnehmerinnen wiesen eine nachweisbare Affinität zu westlichen Luxusmarken auf, die sich unter anderem in mindestens drei Käufen entsprechender Produkte im vergangenen Jahr manifestierte. Die Auswahl erfolgte gezielt über Online-Communities, markenaffine soziale Plattformen und digitale Lifestyle-Netzwerke, um einen Sample mit hohem emotionalem und symbolischem Involvement zu gewährleisten.
Ziel der qualitativen Erhebung war es, emotionale, psychodynamische und semantisch-narrative Reaktionen auf die zentralen Elemente der chinesischen Entzauberungskampagne zu explorieren. Im Zentrum standen Fragen danach, wie Preisoffenlegung, politische Rhetorik und moralisch aufgeladene Narrative das persönliche Verhältnis zur Luxusmarke beeinflussen – oder eben nicht beeinflussen. Das Interviewdesign folgte einem semi-strukturierten Leitfaden, der offene, subjektive Sinnzuschreibungen ermöglichte, ohne die Gesprächsdynamik in vorgegebene Deutungsmuster zu zwingen.
Die Interviews wurden transkribiert und tiefenhermeneutisch nach Lorenzer ausgewertet. Dabei wurden sowohl manifeste Aussagen als auch latente Sinnstrukturen berücksichtigt, etwa unbewusste Affektverschiebungen, ambivalente Symbolisierungen oder paradoxe Abwehrmechanismen. Die Auswertung folgte einem iterativen Codierprozess mit induktiver Kategorienbildung entlang zentraler psychodynamischer Achsen – etwa „Selbststabilisierung durch Symbolik“, „Reaktanz gegenüber moralisierter Aufklärung“, „Mythische Überhöhung versus entwertende Rationalisierung“ oder „Vertrauen in Narrative versus Misstrauen gegenüber Diskreditierung“. Neben der fallübergreifenden Mustererkennung wurden individuelle Bedeutungsprofile (Fallvignetten) erstellt, um die Binnenlogik einzelner Konsumrealitäten sichtbar zu machen.
Der quantitative Teil der Studie wurde als experimentelle Online-Erhebung mit insgesamt 403 europäischen Konsumentinnen im Alter von 18 bis 60 Jahren realisiert. Alle Teilnehmerinnen wiesen regelmäßigen Kontakt zu Luxusmarken auf, entweder über tatsächliche Käufe oder über ein nachweisbares symbolisches Involvement (z. B. Social-Following, Wunschlisten, Markenbindung über Medienkonsum). Die Stichprobe wurde über ein professionelles Online-Panel mit gezielter Screeninglogik rekrutiert.
Das experimentelle Design basierte auf einem randomisierten Zwischen-Gruppen-Ansatz. Die eine Gruppe sah klassische Luxusmarkenkommunikation – ikonisch, ästhetisch aufgeladen und narrativ stark verdichtet, etwa im Stil aktueller Kampagnen von Hermès, Dior oder Chanel. Die andere Gruppe wurde mit einer simulierten Gegenkampagne konfrontiert, die zentrale Elemente der chinesischen Entzauberungsstrategie aufgriff: Visualisierte Preis-Kosten-Gegenüberstellungen, journalistisch anmutende Botschaften über Margenstrukturen und moralisch-patriotische Appelle, westlichen Marken kritisch gegenüberzustehen.
Unmittelbar nach der Rezeption der Stimuli erfolgte eine standardisierte Befragung. Erhoben wurden u. a. die wahrgenommene Attraktivität der Marke, die Kaufabsicht, das emotionale Commitment, das Ausmaß psychologischer Reaktanz sowie das Vertrauen in die gezeigten Informationsquellen. Zusätzlich wurden individuelle Konsummotive (etwa Bedürfnis nach Distinktion oder Symbolstabilität), pandemiebedingte psychische Verunsicherungen und die generelle Haltung gegenüber politischer Kommunikation im Markenraum erfasst. Die Messung basierte auf validierten psychologischen Skalen, darunter eine angepasste Reaktanz-Skala (Dillard & Shen, 2005), der Need-for-Uniqueness-Index (Tian et al., 2001), die Luxury Value Perception Scale (Wiedmann et al., 2007) sowie der Source Credibility Index (McCroskey & Teven, 1999).
Die Daten wurden mittels Varianzanalysen (ANOVA) auf Gruppenunterschiede geprüft. Darüber hinaus kamen Moderatoranalysen zum Einsatz, um die Wirkung individueller Dispositionen (z. B. Vertrauen in staatliche Kommunikation oder post-pandemischer Symbolbedarf) auf die Markenreaktionen zu modellieren. Eine explorative Clusteranalyse ermöglichte die Typenbildung unterschiedlicher Reaktionsprofile, etwa die immunisierte Luxusliebhaberin, die skeptische Patriotin oder die stille Rebellin.
Ziel des quantitativen Teils war es nicht nur, die zuvor entwickelten Hypothesen empirisch zu testen, sondern auch das Spannungsfeld zwischen politisch intendierter Entzauberung und emotionaler Bedeutungsverstärkung auf einer messbaren Ebene sichtbar zu machen.
Die folgende Darstellung integriert die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Erhebung und ordnet sie systematisch entlang der zuvor formulierten Hypothesen ein. Die Verbindung von statistischer Generalisierbarkeit und tiefenpsychologischer Deutung ermöglicht eine umfassende Einsicht in die Mechanismen, die das Scheitern der chinesischen Entzauberungsstrategie bei europäischen Konsumentinnen erklären.
Die statistische Auswertung der Daten (ANOVA) ergab keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der wahrgenommenen Markenattraktivität zwischen den beiden Versuchsgruppen. Unabhängig davon, ob die Probandinnen einer klassisch-ästhetischen Luxusinszenierung oder einer entzaubernden Kommunikationskampagne ausgesetzt waren, bewerteten sie Marken wie Chanel, Hermès und Dior konstant auf einem hohen Attraktivitätsniveau. Der durch die Entzauberungsgruppe intendierte Effekt – nämlich eine Reduktion der Markenfaszination infolge der Konfrontation mit Preis-Kosten-Diskrepanzen – konnte empirisch nicht nachgewiesen werden.
Weder die explizite Darstellung von Herstellungskosten noch die moralisch aufgeladene Kommunikation über die „Wertschöpfungslüge“ führten zu einer signifikanten Erosion der affektiven oder symbolischen Markenbewertung. Im Gegenteil: Die Differenz zwischen wahrgenommenem Preis und Herstellungsrealität wurde oft als gegeben hingenommen – ohne kognitive Dissonanz oder affektive Entwertung. Die emotionale Bindung an die Marken blieb stabil.
Diese Befunde spiegeln sich deutlich in der qualitativen Tiefenstruktur der Interviews wider. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen erklärte offen, dass Produktionskosten für ihre Markenbewertung irrelevant seien. Vielmehr wurde deutlich, dass der Luxusmarkenkonsum nicht auf einer rationalen Preis-Leistungs-Kalkulation basiert, sondern auf einem komplexen System symbolischer Bedeutungszuschreibungen.
Aussagen wie „Ich kaufe kein Material, ich kaufe ein Lebensgefühl“, „Ich weiß, dass es überteuert ist, aber das ist nicht der Punkt“ oder „Luxus ist keine Rechnung, sondern eine Geschichte“ verweisen auf die semantische Verschiebung von Preis zu Bedeutung, die im post-pandemischen Konsumkontext besonders ausgeprägt zu sein scheint. Die Marken werden nicht als Güter, sondern als identitätsrelevante Erzählungen wahrgenommen – sie dienen nicht primär der Bedürfnisbefriedigung, sondern der Selbstvergewisserung, Affektregulation und Ich-Integration.
Besonders auffällig war die Tendenz, sich über die Entzauberungsversuche hinwegzusetzen – nicht aus Unwissenheit, sondern aus bewusster Entscheidung. Die Befragten zeigten eine hohe Toleranz gegenüber semantischen Widersprüchen (z. B. luxuriöser Schein bei banaler Herstellung), solange die symbolische Funktion intakt blieb.
Die Ergebnisse legen nahe, dass die chinesische Strategie der Kostenoffenlegung auf einem veralteten konsumtheoretischen Paradigma basiert, das den post-pandemischen Wandel der Konsumfunktion nicht berücksichtigt. Während die Entzauberungslogik implizit auf einer behavioristisch geprägten Konsumrationalität fußt – also auf der Annahme, dass Konsumentinnen durch die Enthüllung ökonomischer Unverhältnismäßigkeit ihr Begehren infrage stellen – zeigt die empirische Realität ein anderes Bild: Luxus wird nicht als Ware, sondern als psycho-symbolische Ressource verstanden.
Gerade in der post-pandemischen Erfahrungswelt, in der viele psychologische Grundfesten wie Sicherheit, Ordnung, Körperlichkeit, Nähe und soziale Zugehörigkeit destabilisiert wurden, gewinnt der symbolische Konsum an existenzieller Bedeutung. Der Luxusartikel wird zum materiell gewordenen Selbstobjekt (Kohut), zum Container für innere Kohärenz und ein Gefühl von Kontinuität in einer fragmentierten Welt. Die Preisfrage ist in diesem Rahmen sekundär – der Luxus ersetzt nicht einen funktionalen Mangel, sondern kompensiert einen psychologischen.
Hinzu kommt eine postmoderne Ambiguitätstoleranz: Konsumentinnen wissen durchaus um die ökonomischen „Widersprüche“ der Marken, doch diese werden in einem übergeordneten Bedeutungsrahmen integriert. Ähnlich wie Baudrillard es in „Das System der Dinge“ beschreibt, wird der materielle Gegenstand zum Träger kultureller und psychischer Tiefencodes – nicht zur rational bewertbaren Entität.
Im Ergebnis wird deutlich: Die Strategie der Entzauberung kann unter post-pandemischen Bedingungen nicht greifen, weil sie eine Dimension anspricht (die rationale Kalkulation), die im psychologischen Erleben von Luxus nicht entscheidungsrelevant ist. Vielmehr offenbart sich ein kategorialer Missgriff: Die Entzauberung zielt auf das Sichtbare – das Begehren aber lebt im Unsichtbaren.
Die quantitativen Daten stützen die Hypothese eindrucksvoll: In den durchgeführten Moderatoranalysen zeigte sich ein hochsignifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem individuell ausgeprägten Bedürfnis nach Symbolstabilität und der Bewertung traditioneller Luxusnarrative. Teilnehmerinnen, die höhere Werte auf Skalen zur post-pandemischen Identitätsunsicherheit, zum Verlust kollektiver Rituale und zur Erosion personaler Kontinuität zeigten, bewerteten Marken wie Hermès, Chanel oder Dior signifikant positiver, wenn deren Kommunikation stark auf zeitlose Erzählstrukturen, klassische Formensprache und historische Tiefencodes fokussierte.
Besonders auffällig war, dass sich diese Präferenz unabhängig von soziodemografischen Merkmalen wie Einkommen oder Bildungsgrad zeigte. Entscheidend war nicht die soziostrukturelle Lage, sondern die psychologische Erschütterung infolge der pandemischen Erfahrung und die damit verbundene Suche nach emotionaler Orientierung und kultureller Kontinuität.
In den Tiefeninterviews wurde diese Tendenz auf affektiv-narrativer Ebene konkretisiert. Viele Interviewpartnerinnen sprachen von einem tief empfundenen Wunsch nach innerer Ordnung, Vertrautheit und Wiedererkennbarkeit in einer Welt, die sich durch COVID-19 als unberechenbar und instabil erwiesen habe. Luxusmarken – und insbesondere deren über Jahrzehnte gepflegte Ikonografien und Erzähltraditionen – wurden in diesem Kontext als „Fixpunkte in einem bewegten Koordinatensystem“, als „ästhetische Sicherheitszonen“ oder als „verlässliche Erzählungen inmitten des Unsagbaren“ beschrieben.
Typische Aussagen lauteten:
Die oft zitierte „zeitlose Eleganz“ wurde nicht mehr bloß ästhetisch, sondern emotional konnotiert – als eine Art Gegenprogramm zur Überforderung durch mediale Schnelllebigkeit, politische Polarisierung und die emotionale Erschöpfung der Pandemiezeit.
Die vorliegenden Daten belegen, dass sich das Verhältnis westlicher Konsumentinnen zu Luxusmarken im Zuge der Pandemie strukturell gewandelt hat. Luxus fungiert nicht mehr primär als Signal des sozialen Aufstiegs oder des distinktiven Geschmacks (wie es klassische Statuskonsumtheorien nahelegen), sondern als semantischer Reparaturraum für ein destabilisiertes Selbst.
Im Zentrum steht das Bedürfnis nach Symbolstabilisierung – also nach symbolisch verdichteten, narrativ konsistenten und kulturell tief verankerten Beziehungsobjekten, die in Zeiten kollektiver Desorientierung Orientierung stiften. Luxusmarken erfüllen dieses Bedürfnis besonders dann, wenn sie auf narrative Tiefenstruktur, ikonische Wiedererkennbarkeit und rituelle Inszenierung setzen – nicht auf kurzfristige Trendlogik oder politische Opportunität.
Diese Entwicklung lässt sich im Rahmen einer erweiterten psychodynamischen Konsumtheorie verorten: In Situationen kollektiver Verunsicherung steigt der Wunsch nach Objekten mit „affektiver Dauer“ (vgl. Bollas, 1987) – Objekten, die eine kontinuierliche, haltgebende Beziehung zwischen Innen- und Außenwelt ermöglichen. Luxusmarken mit tiefem kulturellem Narrativ übernehmen zunehmend die Rolle solcher „transformational objects“, die helfen, das Ich psychisch zu organisieren.
Chinas Entzauberungsstrategie verkennt diesen Wandel vollständig. Indem sie sich auf die materielle Seite der Marken fokussiert (Produktionslogik, Margen, Kosten), ignoriert sie die zentrale emotionale und existenzielle Funktion, die Luxusmarken in der aktuellen Gegenwart für viele Konsumentinnen übernommen haben: Sie sind Träger psychischer Kohärenz, ästhetische Marker von Kontinuität und Sinnverankerungen in einer Zeit radikaler Ungewissheit.
Man könnte zugespitzt sagen: Je stärker sich die Welt verändert, desto stärker wächst die Sehnsucht nach etwas, das bleibt. Und diese Sehnsucht projiziert sich nicht in rationale Argumente, sondern in Erzählungen mit Bestand – also genau in jene symbolischen Markensysteme, die China als bloßen Schein zu entlarven versucht.
Die Analyse der quantitativen Daten zeigt einen klaren Effekt: Probandinnen, die der staatlich geframten Entzauberungskommunikation ausgesetzt waren, wiesen signifikant höhere Reaktanzwerte auf als jene in der Kontrollgruppe mit klassischer Luxuswerbung. Der Effekt war besonders ausgeprägt in der Subgruppe der jüngeren Konsumentinnen im Alter von 18–35 Jahren, die zusätzlich hohe Werte auf den Skalen zu Individualismus, Autonomieorientierung und symbolischer Selbstaufwertung zeigten.
Nicht nur zeigte sich in dieser Gruppe eine erhöhte Ablehnung gegenüber der staatlich normierenden Botschaft – vielmehr ließ sich ein verstärkter Impuls zur Identifikation mit den angegriffenen Marken beobachten. Diese Konsumentinnen berichteten in der Selbsteinschätzung über ein bewusstes Aufwerten jener Luxusmarken, die Gegenstand der Entzauberungskampagne waren. Die Kritik wurde nicht als Anlass zur Abkehr, sondern als psychologischer Trigger für Abgrenzung und Selbstpositionierung wahrgenommen.
In den Tiefeninterviews wurde dieser Effekt in narrativer und affektiver Tiefe bestätigt. Zahlreiche Interviewpartnerinnen beschrieben die staatliche Aufforderung zur Distanzierung von westlichen Luxusmarken als „übergriffig“, „moralisierend“, „politische Erziehungsversuche“ oder gar als „Manipulationsversuch durch Nationalpathos“. Die als kontrollierend empfundene Tonalität der Entzauberung löste vielfach eine psychologische Reaktanz im Sinne Brehms (1966) aus – also das Motiv, einer als illegitim empfundenen Einflussnahme mit bewusster Gegensetzung zu begegnen.
Einige typische Aussagen lauteten:
Die Luxusmarke erscheint hier nicht bloß als Konsumprodukt, sondern als Symbol eines freien Ichs, das sich gegen Kollektivismen, politische Einflussnahme und moralische Bevormundung stellt.
Diese Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass politisch motivierte Kommunikationsstrategien, die auf Entwertung oder moralische Disqualifikation von Marken abzielen, unter bestimmten Bedingungen das genaue Gegenteil ihres intendierten Effekts auslösen. Insbesondere in einer post-pandemischen Gesellschaft, in der individuelle Freiheit, Autonomie und Selbstdefinition nach Jahren kollektiver Einschränkung (Lockdowns, Mobilitätsbeschränkungen, Verzicht auf soziale Rituale) zu hochsensiblen Werten geworden sind, wird jeder Versuch der Konsumlenkung rasch als illegitime Grenzsetzung erlebt.
Luxusmarken übernehmen in dieser Situation eine neue Bedeutungsschicht: Sie werden zu ästhetischen Freiheitsinseln, zu Trägern symbolischer Autonomie, ja zu Objekten eines stillen Widerstands gegen wahrgenommene Uniformierung. Der Konsum einer von offizieller Seite kritisierten Marke wird nicht mehr als Ausdruck elitärer Distinktion interpretiert, sondern als Affirmation des unverhandelbaren Selbst.
Psychologisch betrachtet lässt sich dies als Akt affektiver Selbstermächtigung deuten. Der „Luxuskauf“ wird zur Bühne eines emotionalen Souveränitätsakts: Ich entscheide, was schön ist, was wertvoll ist, was zu mir gehört. Insofern steht der Luxus nicht mehr nur für Besitz – sondern für psychologische Integrität gegenüber einem entwertenden Außen.
Diese Dynamik lässt sich auch kulturtheoretisch rahmen. Die Entzauberungspolitik operiert auf der Ebene der Moral (im Sinne einer politisch-institutionellen Normierung des „richtigen“ Konsums), während das Erleben der Konsumentinnen auf der Ebene der Ethik des Ichs (Foucault) stattfindet – als Form gelebter Selbstsorge und existenzieller Selbstverortung. Luxus wird dabei nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Zugehörigkeit, sondern als ästhetisch-emotionales Eigentum des Subjekts verstanden.
Die chinesische Strategie der moralischen Entwertung verkennt somit die Tiefendimension post-pandemischer Individualisierung. In einer Welt, in der politische, medizinische und gesellschaftliche Institutionen in das Körper-Ich eingegriffen haben (etwa durch Restriktionen, Hygienediskurse, Gesundheitsüberwachung), wird der ästhetische Konsum zum Restraum psychischer Selbstdefinition. Luxus ist in dieser Perspektive nicht elitär – sondern existenziell.
Die empirische Analyse ergab, dass weder die Konfrontation mit Produktionskosten noch mit Gewinnmargen zu einer signifikanten Abnahme der emotionalen Bindung oder der sozial zugeschriebenen Prestigewirkung westlicher Luxusmarken führte. Die Skalen zur wahrgenommenen Exklusivität, sozialen Distinktion und inneren Wertzuschreibung blieben in beiden Versuchsgruppen weitgehend stabil.
Bemerkenswert war, dass selbst bei expliziter Kostenoffenlegung (z. B. „Herstellung: 95 €, Verkaufspreis: 4.800 €“) der wahrgenommene soziale Status der Marke nicht sank. Vielmehr ergab die Subgruppenanalyse, dass emotionale Markenbindung und soziale Funktion in keinerlei linearer Abhängigkeit zum Preiswissen stehen. Für viele Konsumentinnen scheint es keine kognitive Dissonanz zu geben – oder sie wird bewusst in Kauf genommen.
Diese Tendenz wurde in den Tiefeninterviews inhaltlich und emotional eindrucksvoll bestätigt. Für viele Interviewpartnerinnen war der Versuch, Luxus über Preislogik oder ökonomische Rationalisierung zu delegitimieren, nicht nur wirkungslos, sondern geradezu unverständlich. Wiederkehrende Begriffe wie „persönliche Geschichte“, „ästhetische Identität“, „Ritual“, „Teil meiner Biografie“ oder „Zeichen von Selbstrespekt“ offenbaren ein deutliches Abweichen von klassischen Status- oder Besitzlogiken. Luxus wurde nicht als ökonomisch zu rechtfertigende Entscheidung beschrieben, sondern als affektive Bedeutungsinvestition.
Typische Aussagen lauteten:
Solche Aussagen zeigen, dass Prestige längst nicht mehr nur über soziale Hierarchisierung funktioniert, sondern über intime, oft unverfügbare Bedeutungsräume, die sich rationaler Argumentation entziehen. Der Versuch, diese Räume zu entwerten, wird entweder ignoriert oder als unsensibel empfunden.
Die vorliegenden Daten legen nahe, dass die Entzauberungsstrategie der Preisoffenlegung und Rationalisierung auf einem grundlegenden Missverständnis beruht: dem Irrtum, dass Prestige primär ein kognitiv zu steuerndes Bewertungssystem sei. In Wirklichkeit handelt es sich bei Prestige – besonders im Luxuskontext – um ein komplexes, historisch tief verankertes und emotional verdichtetes soziales Symbolsystem, das nicht auf Preislogik, sondern auf ästhetischer, affektiver und relationaler Codierung basiert.
Insofern folgt die chinesische Entwertungsstrategie einer instrumentell-rationalen Argumentationslogik, während die Erlebniswirklichkeit der Konsumentinnen einer expressiv-symbolischen Struktur gehorcht. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Logiksystemen erklärt das Scheitern der Strategie. Luxus lebt nicht vom Materiellen, sondern vom Sinnüberschuss, den das Objekt gegenüber seiner stofflichen Substanz erzeugt – ein Gedanke, der sich bereits bei Simmel, Barthes und Baudrillard findet, und der in der heutigen post-pandemischen Symbolökonomie neue Gültigkeit erfährt.
Gerade in einer Zeit, in der das soziale Selbst der Konsumentin durch Isolation, Unsicherheit und Verlusterfahrungen fragmentiert wurde, wird das Luxusobjekt zu einem äußeren Marker innerer Kohärenz. Die Tasche, das Tuch, die Uhr werden nicht mehr nur für andere getragen – sie werden getragen, um sich selbst zu spüren. Es sind Objekte mit narzisstischer, oft sogar therapeutischer Funktion, die helfen, sich im Spiegel des eigenen Begehrens als konsistente Person zu erleben.
Der Luxus fungiert hier als narrativer Container für biografische Kontinuität. Er verankert Identität, er ritualisiert Alltag, er „erzählt mich mir selbst“, wie es eine Interviewpartnerin formulierte. Diese narrative Tiefenstruktur ist gegenüber ökonomischer Entlarvung immun, weil sie auf einer emotionalen und soziokulturellen Schicht operiert, die jenseits des Rationalen liegt.
Soziale Funktion und Prestige entstehen dabei nicht mehr allein durch exklusive Zugehörigkeit (klassisch Veblen), sondern zunehmend durch ästhetisch vermittelte Selbstkongruenz. Wer ein Produkt trägt, das sich „richtig“ anfühlt, „passend“ im Sinne der eigenen Identität, der erlebt eine Form symbolischer Integrität, die nicht durch politische Rhetorik oder Preisstatistiken zu erschüttern ist.
Die Entzauberungsstrategie scheitert also nicht nur an der psychologischen Widerstandskraft der Konsumentin – sie scheitert an einem unzureichenden Verständnis davon, wie Prestige in spätmodernen Gesellschaften entsteht: nicht durch Preis oder Material, sondern durch affektive Resonanz, soziale Kohärenz und die kulturelle Codierung innerer Werte im äußeren Objekt.
Die experimentellen Daten zeigen deutlich: Das Vertrauen in die Entzauberungskommunikation – insbesondere in Bezug auf Preisoffenlegung, Gewinnmargen und moralisch aufgeladene Kritik – war signifikant geringer als das Vertrauen in klassische, markeninterne Kommunikationsinhalte. Während klassische Luxusbotschaften (z. B. Imagery-Kampagnen, Heritage-Narrative, Stilästhetik) als kohärent, glaubwürdig und stilistisch stimmig bewertet wurden, wiesen die entlarvenden Inhalte eine deutlich niedrigere Source-Credibility auf.
Besonders auffällig war der negative Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen politischen Motivation hinter der Entzauberung (gemessen mit einem eigens entwickelten Index) und dem Vertrauen in den Inhalt der Botschaft. Je stärker eine politische, wirtschaftliche oder ideologische Absicht vermutet wurde, desto stärker sank die inhaltliche Glaubwürdigkeit – und umso mehr wurde die Luxusmarke selbst als Ziel von Machtprojektion interpretiert, nicht als Täuschungsakteurin.
Die Tiefeninterviews verdeutlichen diese Dynamik in eindrucksvoller Weise. In zahlreichen Gesprächen wurde nicht die Marke als fragwürdig beschrieben, sondern die Kommunikationsquelle selbst. Die entzaubernden Botschaften wurden mehrfach als „propagandistisch“, „wirtschaftlich instrumentell“, „polemisch“ oder gar „psychologische Kriegsführung“ etikettiert.
Stellvertretende Aussagen lauteten:
Diese Aussagen belegen, dass das Zielobjekt der Kritik – die Luxusmarke – nicht entwertet, sondern in vielen Fällen sogar aufgewertet wird, weil sie als Opfer eines undurchsichtigen Machtkampfes erscheint, nicht als Täterin in einem Preisbetrugsszenario. In dieser Umkehrung der semantischen Rollen liegt ein zentraler Wendepunkt der psychologischen Wirkung: Nicht die Marke verliert Vertrauen – sondern das kritische Narrativ selbst.
H5 adressiert ein psychologisches Paradoxon, das in der aktuellen Medien- und Konsumkultur zunehmend relevant wird: In einer pluralisierten, stark polarisierten Welt, in der jede Kommunikationsbotschaft als potenziell interessengeleitet wahrgenommen wird, entscheidet nicht nur was gesagt wird, sondern wer es sagt – und mit welcher vermuteten Absicht.
Die chinesische Entzauberungsstrategie unterschätzt die Transformationskraft der Quelle. In einer Welt zunehmender Skepsis gegenüber Systemkommunikation, staatlicher Einflussnahme und ideologisch gefärbten Botschaften hat sich das Vertrauen von öffentlichen Institutionen weg hin zu ästhetisch-narrativen Markenidentitäten verschoben. Insbesondere westliche Luxusmarken profitieren von ihrer stilistischen Konstanz, semantischen Tiefe und oft jahrzehntelangen kommunikativen Integrität – sie werden als kulturelle Konstanten wahrgenommen, nicht als manipulative Akteure.
Was ursprünglich als „Enthüllung“ intendiert war, wird somit selbst zur Bühne einer psychologischen Projektion: Die Enthüllung wird nicht als Wahrheit empfunden, sondern als Angriff – und das Luxusobjekt erhält im Moment der Kritik eine Aura von Authentizität, Unschuld und symbolischer Widerstandskraft. Diese paradoxe Aufladung folgt einem tiefenpsychologischen Mechanismus, den man als Rückprojektion moralischer Ambivalenz beschreiben könnte: Die Aggression der Quelle wird zur moralischen Entwertung ihrer Aussage, während das Ziel der Aggression (die Marke) auf eine fast sakrale Ebene des Begehrens und der Anerkennung gehoben wird.
Im Ergebnis lässt sich festhalten: Die Delegitimierungsstrategie trifft nicht die Marke, sondern den Kommunikator der Delegitimation. Die Glaubwürdigkeit verschiebt sich weg vom Staat, hin zur Marke. Dies entspricht dem, was man in der Kommunikationstheorie als symbolische Resonanzverschiebung bezeichnen könnte: Vertrauen richtet sich nicht mehr nach Informationsgehalt, sondern nach emotionaler Passung und wahrgenommener Freiheit der Quelle. Und in diesem System sind viele Marken – insbesondere im Luxussegment – glaubwürdiger als politische Kampagnen.
Im post-pandemischen Kontext ist diese Dynamik nochmals verstärkt: Die Jahre der gesundheitspolitischen Kontrolle, der zunehmenden Überwachung, der Verlagerung von Autorität ins Digitale haben zu einer diffusen, aber wirkmächtigen Reaktanz gegenüber autoritärer Kommunikation geführt. Marken, die „bei sich geblieben“ sind, wirken in dieser neuen Symbolökologie wie letzte Orte des Unbeirrbaren, des Stilwillens, der ästhetischen Ordnung – und damit als Projektionsflächen für neue Sehnsüchte nach Vertrauen, Konstanz und Selbstverortung.
Gerade deshalb ist der Angriff auf Luxusmarken in diesem Klima nicht destruktiv, sondern produktiv – er erzeugt Bedeutungszuwachs. Die Marke wird nicht entzaubert, sondern remythisiert. Und das Narrativ der Entlarvung selbst wird als ideologisch verunreinigt verworfen.
Symbolische Resilienz, emotionale Remythisierung und die Rückkehr des begehrenden Subjekts
Die Ergebnisse der Studie zeigen mit außergewöhnlicher Klarheit: Die psychologische Logik des post-pandemischen Konsums entzieht sich der klassischen Markenführung, wie sie in politischen Krisenszenarien oft reaktiviert wird – etwa durch Transparenzstrategien, moralische Positionierungen oder öffentliches Schuldbewusstsein. Stattdessen offenbart sich eine neue Ära der Markenbindung, die wesentlich auf symbolischer Kohärenz, emotionaler Resonanz und ästhetisch-kultureller Stimmigkeit basiert. Für Luxusmarken ergeben sich daraus folgende fundamentale Implikationen:
Eine der deutlichsten empirischen Erkenntnisse dieser Studie ist die paradoxe Bedeutungszunahme von Luxusmarken durch externe Entwertung. In dem Maße, in dem Marken wie Dior, Hermès oder Chanel zum Ziel politischer Kritik, moralischer Diskurse oder preislicher „Entlarvung“ werden, steigt ihre emotionale Attraktivität – insbesondere für jene Konsumentinnen, die nach der Pandemie ein gesteigertes Bedürfnis nach Autonomie, Identitätsstabilisierung und individueller Abgrenzung gegenüber normierenden Instanzen entwickelt haben.
Diese Dynamik kann als symbolische Reaktanzverstärkung bezeichnet werden: Die Marke wird nicht trotz, sondern gerade wegen des Angriffs als Projektionsfläche für Selbstermächtigung, non-konformistische Ästhetik und psychische Selbstvergewisserung genutzt. Luxusmarken sollten diesen Mechanismus nicht fürchten – sondern strategisch erkennen: Angriff ist nicht Reputationsverlust, sondern Begehrenstreiber, wenn die Marke sich selbst treu bleibt.
Strategische Konsequenz: Nicht in die Defensive geraten. Keine Rechtfertigung, keine Erklärung, keine moralische Mitreaktion – sondern selbstbewusste Präsenz als emotionale Konstante inmitten ideologischer Turbulenz.
Ein zentrales Ergebnis der qualitativen Interviews war die Erfahrung vieler Konsumentinnen, dass Luxusmarken für sie keine „Produkte“ im funktionalen Sinn darstellen, sondern narrative Entitäten – d. h. Träger von Geschichten, Ästhetiken, Erinnerungen, Affekten und Ritualen. Der Versuch, diese Marken über Preisoffenlegung oder Produktionsrealitäten zu rationalisieren, wurde nicht nur als wirkungslos, sondern als semantisch inkompatibel erlebt: Der Mythos lässt sich nicht mit Zahlen dekonstruieren.
Luxusmarken, die versuchen, auf politische Angriffe mit rationaler Argumentation zu reagieren – etwa durch CSR-Kampagnen, Preisoffenlegungen oder ethische Gegennarrative – begehen einen kategorialen Fehler: Sie verlassen ihre eigene symbolische Sphäre und betreten das Terrain ihrer Gegner, das sie semantisch niemals gewinnen können.
Strategische Konsequenz: Die wichtigste Ressource einer Luxusmarke ist ihr intakter Mythos. Dieser Mythos ist keine Lüge, sondern ein psycho-symbolisches Angebot an das Ich – ein ästhetisches System zur Verarbeitung von Welt und Selbst. Markenführung im 21. Jahrhundert bedeutet nicht, gegen Narrative anzukämpfen, sondern das eigene Narrativ zu verdichten und unangreifbar zu halten.
Die Studie hat klar gezeigt: Nach der Pandemie ist das Ich der Konsumentin nicht nur ein stilistisches Ausdrucksmedium – es ist ein Reparaturprojekt. Fragmentierte Identitäten, emotionale Erschöpfung, Unsicherheiten in Rollen und Beziehungen erzeugen eine neue psychologische Marktfunktion für Luxus: Luxusprodukte werden zu symbolischen Reparaturinstrumenten, zu Containern von Stabilität, Ritualität und Selbstbindung.
In diesem Kontext erfüllt der Luxus eine ähnliche Funktion wie ein psychoanalytisches Übergangsobjekt (vgl. Winnicott): Er ist weder bloß Besitz noch bloß Inszenierung, sondern ein emotionaler Vermittler zwischen innerem Chaos und äußerer Kohärenz. Luxus wird nicht mehr zur Schau getragen – er wird internalisiert, integriert, ritualisiert.
Strategische Konsequenz: Marken müssen begreifen, dass sie heute nicht mehr bloß Marktakteure, sondern Resonanzträger psychischer Selbstverortung sind. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie es schaffen, sich als sinnlich erfahrbare, biografisch anschlussfähige und affektiv stabilisierende Instanzen zu inszenieren – und nicht als Anbieter von Dingen.
Formel für post-pandemische Markenkommunikation:
Don’t explain. Don’t justify. Enchant.
Eine zentrale Erkenntnis aus H5 war, dass die politische Kommunikationsstrategie der Entzauberung nicht etwa das Vertrauen in die Marke, sondern das Vertrauen in die Quelle der Entzauberung beschädigt. In einer Zeit tiefgreifender medialer Skepsis, politischer Entfremdung und kognitiver Überlastung verlieren Transparenzforderungen an Bedeutung – nicht, weil Konsumentinnen keine Wahrheit wollen, sondern weil sie gelernt haben, dass Wahrheit kein neutrales Gut ist, sondern immer kontextgebunden, affektiv gerahmt und interessengeleitet.
Das, was Konsumentinnen heute als vertrauenswürdig empfinden, ist nicht Offenheit im faktischen Sinne, sondern Stimmigkeit im symbolischen Sinne. Eine Marke muss nicht erklären, warum sie teuer ist – sie muss fühlbar machen, dass sie es wert ist. In einer Kultur, die zunehmend nach Resonanz und kohärenten Selbstbildern sucht, ersetzt emotionale Stimmigkeit die alte Idee kognitiver Transparenz.
Strategische Konsequenz: Marken sollten nicht auf Offenlegung, sondern auf symbolische Integrität setzen. Das bedeutet: konsistente Bildsprache, stabile Markengeschichte, stringente Produktlinie, emotionale Tiefendimension – und eine klare semantische Handschrift. Wer als Marke stimmig bleibt, wird als authentisch erlebt, unabhängig von äußeren Diskursen.
Die zentrale Schlussfolgerung dieser Studie ist radikal: Luxusmarken sind heute keine Objekte mehr – sie sind Strukturen psychologischer Weltverarbeitung. Ihre Aufgabe ist nicht mehr, Wünsche zu wecken, sondern Sinn zu halten. Die zukünftige Markenführung im Luxussegment muss sich daher von klassischen Modellen des Konsumverhaltens lösen und eine neue Disziplin entwickeln: die Resonanzarchitektur. Das bedeutet, Marken so zu gestalten, dass sie affektiv anschlussfähig, narrativ tief, ästhetisch stimmig und psychodynamisch stabilisierend sind.
Nur solche Marken werden nicht nur überleben – sie werden im post-pandemischen Zeitalter bedeutsamer denn je.